Feindliche Architektur
…das ist ein ganz anderer Blick auf Stadtgestaltung, als wir ihn bisher bei #Wir sind Stadt hatten und wir möchten mit diesem Beitrag den Blick weiten auf eine Gruppe von Menschen, deren Anrecht auf die Nutzung des öffentlichen Raums wenn überhaupt dann nur sehr untergeordnet eine Rolle spielt.
Ich spreche von obdach- oder wohnungslosen Menschen, mit deren Sicht auf den öffentlichen Raum und ihre Bedürfnisse daran, ich mich zuvor noch nie beschäftigt hatte. Nach einem Stadtrundgang in der Bonner Innenstadt von Michael Lobeck vom Forum Stadtbaukultur Bonn e.V. und Sebastian Jendrek, Streetworker beim von Verein für Gefährdetenhilfe Bonn e.V. (VfG) mit dem Titel „feindliche Architektur“ hat sich das grundlegend geändert.
Zum Hintergrund
Feindliche oder defensive Architektur ist eine Form der Gestaltung des öffentlichen raums, des öffentlichen Personennahverkehrs, öffentlicher Gebäude, von Stadtmöbeln oder anderen Objekten, um Aktivitäten wie das Skateboardfahren, das Anbringen von Graffiti oder den Aufenthalt von obdachlosen Menschen und Suchtkranken zu verhindern. Der Begriff „defensive Architektur“ belegte den dritten Platz bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2022.
Der Rundgang
Der Rundgang beginnt an einem neu gestalten Spielplatz, an dem sich eben auch Bänke befinden, damit Begleitpersonen sich dort hinsetzen können. Aus meinem naiven Blick heraus sind es eben Bänke – mal mehr mal weniger mein Geschmack, aber das ist hier unerheblich. Sebastian Jendrek weitet unseren Blick auf die Nutzung der Bänke als Schlafgelegenheit. Und das ist bei fast allen Bänken an diesem Ort nicht möglich, denn sie sind so konstruiert, dass ein Schlafen im ausgestreckten Zustand nicht möglich ist. Hier ein paar Beispiele.
Im Kreis unserer Gruppe kommt schnell die Frage auf, wer an einem Spielplatz eigentlich mehr Anrecht hat, sich dort aufzuhalten – obdachlose Menschen oder Eltern und Großeltern von Kindern? Und auch die Frage nach der Möblierung des Spielplatzes bewußt oder unbewußt von der Stadt getroffen wurde bleibt ungeklärt.
Wir gehen weiter. Der nächste Stopp ermöglicht einen Blick auf den Weihnachtsmarkt, der gerade begonnen hat und den wir als etwas Positives wahrnehmen und ihn ganz selbstverständlich als neu hinzugewonnenen Treffpunkt in einer besonderen Zeit aufsuchen. Für Menschen ohne Wohnung ist das völlig anders. Denn Weihnachtsmärkte (oder auch jede andere Art von Stadt- und/oder Straßenfest) verdrängen sie von Orten, die sie möglicherweise zum Aufenthalt genutzt haben. Aber bitte nicht falsch verstehen, ich möchte nicht sagen, dass es aus Rücksicht auf Menschen, die auf der Straße leben, keine Weihnachtsmärkte oder ähnliches mehr geben soll. Allein diese andere Perspektive hatte ich schlicht noch nie eingenommen und sie beschäftigt mich seitdem.
Auf dem Rundgang geht es weiter
- durch eine Passage – wie gemacht, um dort zu übernachten? Auf den ersten Blick wind- und wettergeschützt, also gut um sich dort auch längere Zeit aufzuhalten? Ganz und gar nicht, denn in der Passage sind potentielle Schlafstätten gezielt mit Blumentöpfen zugestellt, es gibt Überwachungskameras und Vogelgezwitscher. Vogelgezwitscher? Was soll daran denn schlimm sein, frage ich mich. Ganz einfach: Vogelgezwitscher oder auch musikalische Dauerbeschallung macht einen längeren Aufenthalt an diesem Ort unerträglich und an Schlafen ist schon gar nicht zu denken.
- vorbei an verschiedenen Plätzen in Bahnhofsnähe, an denen sich obdach- und wohnungslose Menschen einmal aufgehalten haben, die aber von heute auf morgen mit Zäunen, Bauzäunen, Absperrgittern verstellt wurden, so dass Treffpunkte wegvielen.
- zum Bahnhof, auf dem sowohl private Sicherheitskräfte als auch die Polizei regelmäßig Streife gehen und dafür sorgen, dass Wartebereiche nicht als Aufenthalts- oder gar Schlafmöglichkeit genutzt werden.
Im Laufes des Rundgangs und auch sprechen wir über den menschenwürdigen Umgang mit obdachlosen Menschen im Stadtgeschehen, die Auswirkungen feindlicher Architektur auf die Stadtgesellschaft insgesamt und auch über Ängste und Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern in der Begegnung mit Obdachlosigkeit. Viele Fragen werden angerissen und müssen in diesem Kreis doch unbeantwortet bleiben.
Vielen Dank an Michael Lobeck und Sebastian Jendrek für die Möglichkeit, an diesem Rundgang teilzunehmen. Ich nutze beim abschließenden die Gelegenheit dazu, sie zu fragen, wie sie auf die Idee für diesen Stadtrundgang gekommen sind und ob es Überlegungen gibt, wie dieses (für mich so völlig neue) Thema, in die Stadtgesellschaft zu tragen.
Michael Lobeck: „Wie wir den öffentlichen Raum gestalten, ist öfter mal Thema im Forum Stadt Bau Kultur. Wie wir ihn für Menschen gestalten, die Tag und Nacht auf ihn angewiesen sind, haben wir nicht oft im Blick. Dieser Rundgang hat unseren Blick geweitet. Wir werden sicher noch weitere Veranstaltungen zum Thema anbieten.“
Sebastian Jendrek: „Feindliche Architektur schließt die aus, die ohnehin am Rand der Gesellschaft stehen. Stadtplanung muss Räume für alle schaffen – auch für die, die keine Lobby haben.“
Hier noch ein weiterführender Lesetipp zum Thema feindliche Architektur: Wie Obdachlose ferngehalten werden
Willkommen Stadtstreifer*innen
Eine Empfehlung für alle, die sich weiter mit diesem Thema beschäftigen möchten, sich die Stadtführungen mit ehemals obdach- oder wohnungslosen Menschen in Bonn. Über https://stadtstreifen.org/ kannst Du einen Termin auswählen und Dein Ticket für einen kleinen Betrag reservieren. Der Betrag ist bewusst niedrig gehalten, um möglichst vielen Personen die Teilnahme zu ermöglichen. Am Ende der Tour kannst Du, wenn Dir die Tour gefallen hat Deine Wertschätzung für die stadtstreifer:innen durch eine Spende zeigen. Britta hat schon einmal eine Tour mitgemacht.
Britta: „Diese besondere Stadtführung ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Tief berührt und beeindruckt haben mich der Mut, die Offenheit und die hochinteressanten Schilderungen der ehemals wohnungslosen Frau, die uns freigiebig „ihr Wohnzimmer“ – die Innenstadt von Bonn – gezeigt hat. Ich bin ziemlich ahnungslos in diese Führung hineingegangen und mit einem ganz neuen Blick auf wohnungslose Menschen und das Thema Obdachlosigkeit wieder herausgekommen.“ Prädikat: Absolut lohnenswert!
Ende gut, alles gut?
Nicht ganz, aber dennoch möchte ich diesen Beitrag mit einem positiven Beispiel beenden und damit den Blick weiten auf eine gute (und relativ einfache) Lösung, mit der obdachlose Menschen in Bonn inzwischen einen Treffpunkt hinzugewonnen haben, der extra für sie geschaffen wurde. Unser Stadtrundgang endete auf einer kleinen Anhöhe gleich neben einem Fußgängertunnel, der die Bonner Südstadt und der Innenstadt verbindet. Noch im Sommer hielten sich dort bis zu 30 Personen auf, standen herum, versperrten den Weg, dealten mit Drogen und, und, und. Ein Ärgernis! Nun stehen Bänke eben auf dieser Anhöhe gleich neben dem Durchgang und alle obdach- und wohnungslosen, drogen- und alkoholkranken Menschen, die vorher als Belästigung empfunden wurden, haben nun auf diesen Bänken einen Treffpunkt, den sie dankbar angenommen haben. So einfach kann’s gehen. Eine prima Lösung, finden wir. Und während wir dort stehen, sammelt sich unten in eben diesem Durchgang eine kleine Gruppe Menschen, die offensichtlich darauf warten, dass wir gehen damit sie wieder ihren Platz einnehmen können. Für mich ein krasser Perspektivwechsel, denn – ganz ehrlich – für mich war es das erste Mal, dass ich Menschen ohne Obdach bewusst Platz gemacht habe, damit sie einen Ort im öffentlichen Raum nutzen können, der ihnen zugedacht ist.
Wenn ihr diesen Platz einmal sehen wollt. Die WDR Lokalzeit war dort.
Was denkst Du über den Anspruch von Menschen mit sog. abweichendem Verhalten von der Norm im öffentlichen Raum? Und: Geht es bei feindlicher Architektur eher darum, öffentliche Plätze sicherer zu gestalten oder eher darum, dass sich dort niemand allzu lange aufhalten soll? Wir freuen uns über Kommentare und empfehlen unser Abendgespräch zum Thema
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