Abendgespräch #9 – „Wem gehört die Stadt?“

Abendgespräch

Jutta: Du hattest ja meinen Bericht über den Stadtrundgang zur „feindlichen Architektur“ schon vorab gelesen. Und, was ging Dir durch den Kopf dazu?

Norbert: Ich konnte mich sofort und voll in die beschriebene Situation mit den Bänken reinversetzen, auf denen man sich nicht lang auslegen kann. Wie häufig habe ich das todmüde an Flughäfen erlebt und mich über die unnötigen Teilungslehnen geärgert. Aber macht es nicht auch einen Unterschied, wo man solche Bänke installiert? Spielplätze sind ja nun mal keine Schlafstätten, oder?

Jutta: Klar, das stimmt – aber auch Flughäfen sind ja nun mal keine natürlichen Schlafareale, nur in Notfällen. Ich glaube inzwischen, man muss das Thema weiter sehen, eher im Sinne von: „Wie gestalten wir unseren öffentlichen Raum so, das alle friedlichen Lebenskonzepte neben-, mit- oder auch nacheinander ihren Platz finden können.“ Das liest sich natürlich nett, ist aber gar nicht so leicht zu realisieren.

Norbert: Gerade was Obdachlose angeht, ist so etwas wahrscheinlich ganz besonders schwer, denn viele Bürger haben Erfahrungen mit Betrunkenen und Drogennutzern gemacht, ich auch. Aber, ich sehe stark zunehmend Menschen in Hauseingängen, Unterführungen oder irgendwie geschützten Plätzen schlafen, notdürftig zugedeckt, manchmal auch nur mit Pappe. Mir fällt das irgendwie im Winter immer mehr auf als im Sommer. Vielleicht schlafen diese Menschen dann weniger an diesen schützenden Stellen im Stadtraum, vielleicht berührt es im Winter auch einfach mein Herz viel mehr. Aber es ist ja keine Lösung, wenn ich und andere dann einen Betrag in den daneben stehenden Pappbecher werfe.

Jutta: Möglicherweise ist auch ein Umdenken in unserer Gesellschaft notwendig. Der öffentliche Raum gehört allen, er ist inklusiv zu gestalten. Inklusion schließt eben alle Menschen ein, jung und alt, arm und reich, beweglich und weniger beweglich, alle Geschlechter, Menschen mit und ohne Wohnungen, …

Norbert:  So sehe ich das auch. Aber die Gestaltung, das Planen und Bauen des öffentlichen Raumes unter inklusiven Aspekten, wie Du sie gerade genannt hast, ist das eine. Das andere ist die Ordnung, die ein solcher, vielen Ansprüchen genügender öffentlicher Raum wahrscheinlich auf Dauer braucht. Du hast es in Deinem Bericht wunderschön beschrieben: Du hattest gar nicht bemerkt, wie Du anderen einen Aufenthaltsort genommen hattest. Mit Ordnung meine ich hier gar nichts Formales, wie  gekennzeichnete „Besitz“-Flächen, ein Ampelsystem (wer darf wann …) oder ähnliches, sondern die gesellschaftliche Übereinkunft, dass jede und jeder ein Recht auf friedliche Nutzung des öffentlichen Raums hat. Vielleicht ist das Wort Ordnung hier auch falsch. Verstehst Du, was ich meine?

Jutta: Ja, ich glaube schon. Ich komme nochmal zurück auf meine Erlebnisse bei dem Rundgang. Da ging es in erster Linie um Obdachlose im öffentlichen Raum, deren Lebensform ja abweicht von der Norm. Vielleicht meint Dein Wort „Ordnung“ inhaltlich sowas wie ein wechselseitig akzeptiertes rücksichtsvolles Nebeneinander in der alltäglichen Lebenswelt.

Norbert: Genau, das trifft ganz gut, was ich meine, danke Jutta. Der Begriff „feindliche Architektur“ gefällt mir auch nicht – ich kann den nach Deinem Bericht zwar jetzt mit Inhalt füllen, einladend wirkt er nicht, eher provozierend. Aber vielleicht muss das bei diesem Thema auch so sein. Danke für Deinen Bericht, liebe Jutta – und überhaupt dafür, dass Du dieses Thema in den Fokus genommen hast.

Jutta: Ja, ich denke „feindliche Architektur“ ist ein sehr bewußt gewählter Begriff, der eben auf Abwehr zielt und darum geht es ja auch. Mir kommt noch ein anderer Gedanke in Erinnerung, der bei dem Rundgang aufgeworfen wurde. Und zwar, dass Städte eben auch gar kein Interesse daran haben, ihre Städte für wirklich alle Menschen so zu gestalten, dass sie sich gerne dort aufhalten. Es gibt die (berechtigte?)  Befürchtung, dass sie dies in der Szene rumsprechen könnte und mehr obdach- und wohnungslose Menschen anlocken würde…Hm, es ist komplex. Ich werden auf jeden Fall diesen Rundgang vom Stadtstreifen Bonn e.V. mal mitmachen und am Thema dranbleiben. Kommst Du mit?

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